Bob Dylan: Hurricane (1975)
„Here comes the story of the Hurricane
Bob Dylan: Hurricane
The man the authorities came to blame
For somethin‘ that he never done
Put in a prison cell, but one time he could-a been
The champion of the world“
Am Morgen des 17. Juni 1966 erschießen zwei schwarze Männer in einer Bar in der Kleinstadt Paterson in New Jersey drei Weiße: den Barkeeper und zwei Gäste. Die Polizei hat schnell einen Verdacht. Eine Streife greift Rubin Carter auf, der mit seinem Freund John Artis in einem Dodge Straßenkreuzer unterwegs ist. Beide sind schwarz. Schon bei der ersten Gegenüberstellung ist sich ein schwer verletzter Augenzeuge aus der Bar sicher: Die beiden waren es nicht. Die Polizei lässt Carter und seinen Freund gehen. Vorerst.
Die Kleinstadtpolizisten kennen Carter, seit er ein Kind war – ein oft unbeherrschtes und manchmal gewalttätiges Kind, das seine Eltern in die Obhut der Behörden gaben, als sie nicht mehr weiter wussten mit ihm. Nun ist der schwierige schwarze Junge zu einem recht erfolgreichen Boxer herangewachsen (Spitzname: „Hurricane“) und kurvt in teuren Autos durch die Stadt. So einen ziehen sie nur zu gern aus dem Verkehr.

Vier Monate nach Carters Freilassung behauptet der vorbestrafte Kriminelle Alfred Bello, er hätte ihn zur Tatzeit in der Nähe des Tatorts gesehen. Das reicht als Belastung. Carter und Artis werden erneut festgenommen, vor Gericht gestellt und von den ausnahmslos weißen Geschworenen des dreifachen Mordes für schuldig befunden: Lebenslang für beide.
Carters Fall wird zum Symbol für eine rassistische Justiz. Doch er gibt sich nicht geschlagen. Im Gefängnis studiert er juristische Fachbücher. Er schreibt seine Autobiographie „Die 16. Runde – vom Herausforderer Nummer eins zur Nummer 45472“. Ein Exemplar schickt er dem Sänger Bob Dylan. Da sitzt er schon acht Jahre im Gefängnis.
Dylan liest das Buch, und bevor ein Monat vergangen ist, besucht er den Häftling. Schwer beeindruckt von der Geschichte und der Persönlichkeit Carters schreibt Dylan einen Song über den Fall, ausgerollt in über 90 Zeilen, halb Moritat, halb Protestsong. „Hurricane“ dauert acht Minuten und ist dem Sänger so wichtig, dass er als Single veröffentlicht wird, in zwei Teilen, auf A- und B-Seite. Der Song verschafft dem fast vergessenen Fall bei einem breiten Publikum neue Aufmerksamkeit.
Dylan startet eine Kampagne für Carters Freilassung. Mit seiner berühmten Tournee „Rolling Thunder Revue“, an der auch Joan Baez, Joni Mitchell, Roberta Flack und der Beat-Dichter Allen Ginsberg mitwirken, gastiert er Ende 1975 sogar in dem Gefängnis, in dem Carter einsitzt.
Carters Fall geht so irrwitzig weiter wie er begonnen hatte. Zwei Monate nach Dylans Gefängnisauftritt räumt Belastungszeuge Alfred Bello in der New York Times ein, dass er gelogen hatte, weil er sich davon Vorteile versprach. Der Surpreme Court von New Jersey hebt das Urteil daraufhin auf. Doch noch 1976 werden Carter und Artis erneut verhaftet, weil die Staatsanwaltschaft erstmals ein Motiv benennt: Der Mord sei die Rache für einen in der gleichen Nacht von Weißen begangenen Mord an einem Schwarzen gewesen.
Diesen Schlag verkraftet Carter nicht mehr, er gibt sich auf. Doch 1980 liest ein Teenager aus Brooklyn sein Buch und mobilisiert kanadische Bürgerrechtler. Dank ihrer Unterstützung erreichen Carters Anwälte die Wiederaufnahme des Verfahrens. Diesmal entscheidet kein Provinzgericht aus New Jersey, sondern ein Bundesrichter. Ende 1985, nach 19 Jahren Haft, kommt Rubin Carter endgültig frei.
Er zieht nach Toronto, setzt sich für zu Unrecht Verurteilte ein und bekommt dafür zwei Ehrendoktorwürden verliehen. Im Februar 2014, kurz vor seinem Tod, schreibt er: „Ich habe 49 Jahre in der Hölle gelebt, und in den letzten 28 Jahren im Himmel.“
Martin Kaluza, April 2020