Panzerballett: Ein bisschen Frieden (2009)
„Ein bisschen Frieden, ein bisschen Sonne
Panzerballett: Ein bisschen Frieden
Auf dieser Erde, auf der wir wohnen
Ein bisschen Frieden, ein bisschen Freude
Ein bisschen Wärme, das wünsch ich mir“

Am 24. April 1982 ist die englische Kleinstadt Harrogate Schauplatz des größten europäischen Songwettbewerbs. Der Abend ist schon fast schon rum, nur noch der Song aus Deutschland steht aus, da betritt Nicole Hohloch, eine 17-jährige Abiturientin aus dem Saarland, die Bühne. Im biederen Pünktchenkleid sitzt sie fast schüchtern auf der Bühne, klammert sich an eine riesige, weiße Gitarre, das blonde Haar wallt über die Schultern. „Ein bisschen Frieden“ heißt ihr Song – und sieht sie nicht selbst ein bisschen aus wie ein Friedensengel?
Der Song passt in die Zeit. Drei Wochen zuvor ist der Krieg zwischen dem Gastgeberland und Argentinien um eine Inselgruppe im südwestlichen Atlantik eskaliert. Gleichzeitig liegt Angst vor dem Atomkrieg liegt in der Luft. Die Sowjetunion hatte Mitte der siebziger Jahre mit SS20-Mittelstreckenraketen aufgerüstet. Kanzler Helmut Schmidt drängte auf den „Nato-Doppelbeschluss“. Die Vereinbarung sah Verhandlungen mit dem Warschauer Pakt über die Begrenzung von Mittelstreckenraketen vor. Sollten die jedoch scheitern, würde die Nato mit eigenen Raketen atomar nachrüsten.
„Ich weiß, meine Lieder, die ändern nicht viel“, singt Nicole. Sie wirkt dabei nicht wie die zeittypische Friedensaktivistin. Die 400.000 jedenfalls, die keine zwei Monate später in Bonn gegen die Nachrüstung und den Besuch des US-Präsidenten Ronald Reagan demonstrieren, sehen ganz anders aus. Nicht so bieder. Nicht so katholisch. Und im Gegensatz zu Bands wie Bap und dem Künstler Joseph Beuys tritt Nicole bei der großen Friedensdemo gar nicht auf. Und warum eigentlich fordert sie nur „ein bisschen“ Frieden?
Doch immerhin, das muss man an dem Abend in Harrogate ihr und Grandprix-Dauerteilnehmer Ralph Siegel lassen: Nicole und ihr Song sind eine Botschaft an die Europäischen Nachbarn. Von einem Deutschland, das einen solch harmlosen Engel ins Finale schickt, muss sich nun wirklich niemand mehr fürchten. Und es würde sicher auch keine Inseln im Südatlantik angreifen.
Das Lied gewinnt mit großem Vorsprung, es bekommt von allen Ländern Punkte – mit der Ausnahme Luxemburgs. In der Wiederholung singt Nicole es viersprachig auf Deutsch, Französisch, Englisch und Niederländisch.
Das Lied wird ein Nummer-1-Hit und sticht 1982 unter den hedonistischen Krachern an der Spitze der Charts – „Polonäse Blankenese“, „Skandal im Sperrbezirk“, „Der Kommissar“, „Ich will Spaß“ und „Adios Amor“ – deutlich hervor.
Wir spulen vor ins Jahr 2009. Auftritt Jan Zehrfeld. Der 1977 geborene Münchner hatte zunächst Cello gelernt und dann auf Jazz- und Metall-Gitarre umgeschult. Ein guter Teil des Repertoirs seiner Band Panzerballett besteht aus Coverversionen bekannter Songs, die Zehrfeld komplett gegen den Strich bürstet. Seine Technik, Songs zu bearbeiten, bezeichnet er als „Verkrassung“. In den meisten Fällen ist das einfach ein Spaß auf hohem Niveau.
Doch als er sich den Nicole-Song von 1982 vornimmt, passiert etwas Magisches: „Ein bisschen Frieden“, nun gesungen von Conny Kreitmeier, wird aller Spuren von Naivität beraubt.
Martin Kaluza, Dezember 2022