Diversität, aktualisiert

Billy Bragg: Sexuality (1991/2021)

„I’ve had relations with girls from many nations
I’ve made passes at girls from all classes
And just because you’re gay I won’t turn you away
If you stick around I’m sure that we can find some common ground

Sexuality – Strong and warm and wild and free
Sexuality – Your laws do not apply to me“

Billy Bragg: Sexuality
Popsong Jahrgang 1991: Billy Braggs „Sexuality“
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Mitte der 1980er Jahre, auf dem Höhepunkt der AIDS-Epidemie, herrscht in der britischen Öffentlichkeit eine homophobe Stimmung. Die konservative Regierung tut wenig, die Lage zu entschärfen. Im Gegenteil, 1988 tritt das Gesetz „Section 28“ in Kraft, das öffentlichen Einrichtungen die „Förderung der Homosexualität“ verbietet – an Schulen und in Behörden darf nur negativ über sie berichtet werden.

1991 nimmt sich der Protestsänger Billy Bragg sich des Themas an. Er war durch seine vom Punkrock inspirierten Auftritte bekannt geworden, hatte die Bergarbeiterstreiks der 80er Jahre mit E-Gitarre und viel Zorn in der Stimme unterstützt. Jetzt möchte er poppiger klingen, zugänglicher. Bragg findet, dass Sexualität einen fröhlichen, lustvollen Song verdient hat. Zusammen mit Johnny Marr, dem Gitarristen der legendären Indieband „The Smiths“, schreibt er „Sexuality“. Bragg singt, er habe mit Mädchen aus vielen Ländern Beziehungen gehabt und mit Frauen aller sozialen Klassen geflirtet. Beschwingt fährt er fort: „And just because you’re gay I won’t turn you away / If you stick around maybe we can find some common ground“.

Der Ton ist in der aufgeheizten Situation bewusst freundlich-leger: „Nur weil du gay bist, werde ich dich nicht wegschicken. Wenn wir etwas Zeit miteinander verbringen, finden wir bestimmt eine Menge Gemeinsamkeiten.“

Dreißig Jahre später ändert Billy Bragg genau diese Zeilen. Bei seinen Auftritten singt er im November 2021: „And just because you’re ‚they‘ I won’t turn you away, if you stick around I’m sure that we can find the right pronouns“. Frei übersetzt heißt das: „Nur weil du dich nicht auf ein Geschlecht festlegen lässt, werde ich dich nicht wegschicken. Wenn wir etwas Zeit miteinander verbringen, finden wir bestimmt die passenden Pronomen.“ In den Ansagen ruft er Unterstützung von Stonewall auf, einer der wichtigsten Initiativen, die sich für die Rechte von LGBTQ- Personen einsetzen.

Update dreißig Jahre später: 2021 spielt Billy Bragg „Sexuality“ mit aktualisiertem Text.
Externer Link: Wenn Sie auf das Bild klicken, öffnet sich in einem neuen Tab ein youtube-Link mit dem Song

In den Sozialen Medien muss Bragg zum Teil Kritik einstecken. Steht er nicht mehr an der Seite der Schwulen? Auch wird er von einer feministischen Fraktion kritisiert, die sich von Transgender-Frauen bedroht fühlt – und die ihnen zum Beispiel das Recht abspricht, Frauentoiletten zu nutzen.

Der Musiker erklärt sich ausführlich in einem Gastbeitrag in der linken Wochenzeitung „New Statesman“. Dass er den Songtext geändert habe, sei „Ausdruck meiner Allyship mit der Trans- und nicht-binären Community“. Allyship – der in neueren linken Debatten geläufige Ausdruck überschneidet sich in vielen Aspekten mit dem, was alte Linke unter Solidarität verstehen.

In den letzten 30 Jahren, schreibt Bragg, habe es viele Fortschritte gegeben. Schwule und Lesben genießen mittlerweile die gleichen Rechte und den gleichen Schutz wieder alle anderen auch – Section 28 ist Geschichte. Doch trotz all der Fortschritte gäbe es eine marginalisierte Gruppe, deren Legitimität auch in liberalen Kreisen mitunter in Frage gestellt werde: Transgender-Frauen.

„Ich lasse die Gay Community nicht verschwinden, wenn ich den Text von ‚Sexuality‘ ändere, sondern ich aktualisiere ihn angesichts der veränderten Zeiten, in denen wir leben. Ich hoffe, dass ich andere Angehörige meiner Generation ermutige, mit ihrem liebgewonnenen Verständnis von Inklusion dasselbe zu tun.“

Martin Kaluza, Oktober 2022

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