Bap: „Deshalv spill mer he“ (1984)
„Un nocht jet, falls es nit schon ohnehin bekannt,
Bap: „Deshalv spill mer he“
Dat ahn die Clique, die sich ‚Volksvertreter‘ nennt:
Uns kritt ihr vüür kein offizielle Kaar jespannt,
He, wo jet andres unger unsre Näjel brennt.“

1983 ist Bap die Band der Stunde. Wolfgang Niedecken singt durchweg in einem kölschen Dialekt, der außerhalb des Rheinlandes kaum verstanden und trotzdem innig geliebt wird. Die Alben „für usszeschnigge“ und „vun drinne noh drusse“ belegen über Wochen Platz 1 der deutschen Charts und werden mit jeweils doppelt Platin ausgezeichnet – den LPs sind Textblätter mit Verständnishilfen beigelegt. Auf der Tournee 1982/83 spielt die Band 126 Konzerte. Am 10. Juni tritt Bap auf der Demo gegen den Besuch des US-Präsidenten Ronald Reagan auf, es ist die größte Friedensdemo der Bundesrepublik.
Bap hat auch in der DDR viele Fans. Die staatliche Plattenfirma Amiga hat das letzte Album „vun drinne noh drusse“ in Lizenz veröffentlicht, 15.000 Exemplare waren binnen Stunden vergriffen. Die Band plant mit der Künstleragentur der DDR für die zweite Januarhälfte 1984 eine Tournee mit 14 Auftritten in 13 Städten. Den Auftakt soll ein Auftritt beim Festival „Rock für den Frieden“ im Palast der Republik bilden. Für das Konzert werden 5.000 Karten ausgegeben – 4.300 „auf Anrecht“, also an ausgewählte FDJler und Parteimitglieder, und 700 gehen in den freien Verkauf. Die Schlange, berichtet ein Fan, war anderthalb Kilometer lang.
Wenige Wochen vor Tourbeginn wird Bap zu einem Auftritt in der Jugendsendung „rund“ nach Magdeburg eingeladen. Der Bundestag hat gerade dem NATO-Doppelbeschluss zugestimmt: Die USA und ihre Verbündete wollen neue atomare Mittelstrecken in Westeuropa aufstellen, um die Sowjetunion zu Abrüstungsverhandlungen zu zwingen.
Im Interview mit der DDR-Jugendsendung bemerkt Niedecken, wie der Moderator ihn immer wieder in eine Richtung locken möchte: „Wir machten Interviewproben. Man wollte wohl von unbedingt von mir hören, dass SS20 Friedensraketen sind und Pershings Kriegsraketen. Das war fast Loriot-verdächtig.“ Am Ende spielt die Band drei Songs zum Playback, das Interview wird nicht gesendet.
Zurück in Köln schreibt die Band einen Song. Es geht um den Rüstungswahn auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Niedecken erträumt sich, dass SS20-Raketen zu einem Traktor umgeschmiedet werden und Pershings zu einer Lok. Der Refrain schließlich ist eine Breitseite gegen Zensur und DDR-Regime: „Hey du da und du – wann ist es hier so weit, dass man das Maul aufmachen darf, wenn man etwas sagen will? Es wird höchste Zeit!“
Der Song „Deshalv spill mer he“ hat seine Premiere am Tag vor Beginn der DDR-Tour in der Stadthalle Wolfsburg. Im Publikum: neben den westdeutschen Fans auch zwei Vertreter der DDR-Jugendorganisation FDJ.
Noch im Bus auf der Transitstrecke sagt Percussionist Manfred Boecker einem Reporter, er habe „ein bisschen Angst, dass wir die Tour nicht durchziehen können. Wenn wir uns so verhalten wie wir das vorhaben, so wie auch hier in der Bundesrepublik, dann sehe ich da Schwierigkeiten.“ Sänger Wolfgang Niedecken redet sich Mut zu: „Wenn wir bei uns kritisch sind, dann müssen wir da genauso kritisch sein.“
Als die Band im Hotel Unter den Linden in Berlin einquartiert wird, hat sie noch immer keinen offiziellen Vertrag für die Konzerte der Tournee. Die Künstleragentur besteht darauf, den Text des neuen Songs vorab zu lesen. Während die Band Kaffee trinkt, entziffern Mitarbeiter am Nebentisch Zeile für Zeile Niedeckens Kölsch. In den Verhandlungen wird schnell klar: Die Band darf den Song nicht in der DDR spielen. Die Band sagt: „Wir spielen den oder wir fahren ab.“
Das Festival „Rock für den Frieden“ findet ohne Bap statt. „Ihr wisst, heute sollte an dieser Stelle die Gruppe Bap aus der BRD auftreten“, erklärt der Ansager des Festivals. „Die Gruppe hat es allerdings vorgezogen, gestern wieder abzureisen. Sie wollten nicht unter dem Symbol der weißen Taube unter blauem Grund auftreten.“ Stattdessen springt die auch im Westen bekannte DDR-Rockband „Puhdys“ ein.
Wolfgang Niedecken wird von einem West-Reporter noch vor der Rückreise in Ost-Berlin konfrontiert: Ob nicht von Beginn an klar gewesen sei, dass man das fragliche Stück hier nicht spielen könne. Niedecken antwortet: „Jetzt müssen wir unheimlich aufpassen, dass wir uns ein paar hundert Meter weiter nicht vor einen [anderen] Karren spannen lassen von den kalten Kriegern, die da sitzen und sagen: Siehste, ätsch, da habt ihr’s, ihr Alternativis, ihr Linken.“ Auf die Frage, wie sich das alles anfühle, entgegnet Niedecken: „Beschissen.“
Das Politbüro beschließt am 17. Januar, dass Rockgruppen aus dem Westen nicht mehr in der DDR auftreten können. In den nächsten beiden Jahren werden auch keine West-Bands mehr zum Festival Rock für den Frieden eingeladen. Eine bereits geplante Tour von Udo Lindenberg für das Jahr 1984 wird ebenfalls abgesagt.
Puhdys-Sänger Dieter Birr, der mit seiner Band auf dem Festival für Bap einsprang, fand die Reaktion der Kölner „bescheuert und unfair dem Publikum gegenüber“. Wolf Biermann, aus der DDR ausgebürgerter Liedermacher, sagte Jahre später einmal dem Spiegel: „Die Kulturbonzen der DDR haben eben vor ein paar kölschen Wahrheiten mehr Angst als vor einem Skandal, der entstand, als die Bap-Leute sich entschlossen, keine DDR-Zensur zu dulden. Und auf längere Sicht haben Wolfgang Niedecken und seine Freunde mit guter Nase den besseren Fehler gemacht.“
Durch Ostdeutschland tourt Bap schließlich doch noch, 1991, nach dem Fall der Mauer.
Niedecken sagt später einmal über die Rückreise von der geplatzten DDR-Tournee: „Wir fühlten uns deshalb beschissen, weil wir mittlerweile kapiert hatten, dass die Leute sowieso wussten, wieso wir da spielen. Das Lied wäre gar nicht nötig gewesen.“
Martin Kaluza, Mai 2023
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