Feminismus auf dem Dancefloor

Eurythmics & Aretha Franklin: „Sisters Are Doin‘ It For Themselves“ (1985)

„We got lawyers, doctors, politicians, too (…)
Sisters are doin‘ it for themselves
Standin‘ on their own two feet
And ringin‘ on their own bells

Eurythmics & Aretha Franklin: „Sisters Are Doin‘ It For Themselves“
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Schon mit dem ersten Hit der Eurythmics fällt Annie Lennox auf. Im Video zu „Sweet Dreams (Are Made of This)“ trägt die Sängerin kurze, knallorange gefärbte Haare und einen Männeranzug. Ein gefälliges Popstar-Lächeln spart sie sich. Mit dem androgynen Look wird Lennox 1983 aus dem Stand zur Ikone: Sie schafft es, alle Blicke auf sich zu ziehen, aber gleichzeitig entzieht sie sich dem männlichen Blick. Lennox selbst erklärt: „Es ging darum zu sagen: Ich bin weiblich, aber ich habe eine maskuline Seite, und diesen Teil von mir will ich nicht leugnen.“

In der Zeit ihres künstlerischen Durchbruchs interessiert sich Lennox für die Bewegung der Suffragetten, die in Großbritannien und den USA Anfang des 20. Jahrhunderts mit Protestmärschen und Hungerstreiks das Frauenwahlrecht erkämpft hatten. Und sie stellt sich selbst eine Aufgabe: „Die Herausforderung lautete, einen Popsong zu schreiben, der im Radio gespielt wird und trotzdem eine feministische Hymne ist. Eines Morgens habe ich den Text in einem Rutsch geschrieben.“

Der neue Song heißt „Sisters Are Doin‘ In For Themselves“, „Die Schwestern machen das für sich selbst“. Früher habe man gesagt, hinter jedem stehe Mann stehe eine starke Frau, schreibt Lennox. Doch die Zeiten haben sich geändert, die Frauen stehen nun für sich selbst und ihre eigenen Anliegen ein. Sie lassen die Küche hinter sich, und man muss sich nur umsehen: Die Ärztinnen, Anwältinnen und Politikerinnen sind schon da. Das Ganze verpacken die Eurythmics in einen munteren Popsong, der auf den Dancefloor.

Lennox findet von Beginn an, dass eine zweite Stimme dem Song guttun würde. Auf der Suche nach einer Duettpartnerin holen sich die Eurythmics zunächst eine Abfuhr: Tina Turner mag den Song nicht singen, der Inhalt ist ihr zu feministisch. Aretha Franklin hingegen sagt zu. Annie Lennox muss nur noch Franklins Bedenken ausräumen, ob es in dem Song etwa um weibliche Selbstbefriedigung gehe.

Aretha Franklin, eine Generation älter als Annie Lennox, hatte 1967 mit „Respect!“ einen ihrer größten Hits und gilt seitdem weltweit als Fürsprecherin der Frauen- und der Bürgerrechtsbewegung. Das Video zeigt im Wechsel die Sängerinnen auf der Bühne und eine Kollage von Filmschnipseln. Sie reichen von Frauen, die von einem Steinzeitmann mit Keule an den Haaren herumgeschleift werden, bis hin zu Frauen, die als Mechanikerin, Ärztin, Astronautin arbeiten. Einige Passagen sind dem britischen Nouvelle Vague-Film „Nur ein Hauch Glückseligkeit“ von 1962 entliehen.

Ein Detail im Video zu „Sisters“ wird von vielen weißen Fans übersehen, doch das schwarze Publikum erkennt das Signal sofort: Franklin trägt an der linken Hand einen schwarzen Handschuh – ein Erkennungszeichen der Black-Power-Bewegung, das zurückgeht auf die Siegerehrung des 200-Meter-Laufs bei den Olympischen Spielen von 1968 in Mexiko. Damals reckten der Sieger Tommie Smith und der Drittplatzierte John Carlos ihre Faust mit Handschuh in den Himmel. Dass Aretha Franklins im Video auch einen trägt, ist eine Erinnerung, dass sich der Kampf für Frauenrechte nicht vom Kampf gegen Rassismus trennen lässt.

2022, vier Jahre nach Franklins Tod, veröffentlicht das FBI Akten, aus denen hervorgeht, dass sie wegen ihrer Nähe zur Bürgerrechtsbewegung 40 Jahre lang überwacht wurde.

Martin Kaluza, Januar 2023

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