Sade: „Young Lion“ (2024)
„With such a heavy burden
Sade: „Young Lion“
You had to carry all on your own
Forgive me son
I should have known“

Es ist schon ein paar Jahre her, da bekam Sade, ein Star der 1980er Jahre, der sich inzwischen weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, von ihrem Gitarristen ein Foto aus New York zugemailt. Jemand hatte über ein Poster der Sängerin den Satz geschrieben: „The bitch sings only when she wants to“ – Die singt nur, wenn sie will. „Was für ein präziser, lustiger Kommentar“, sagte sie dazu. „Er entspricht genau meiner Attitüde.“
2024 findet sie es wieder einmal an der Zeit. Einen einzelnen Song nimmt sie auf, 14 Jahre sind seit ihrem letzten Album vergangen. Das Video zu „Young Lion“ zeigt zu einem langen, melancholischen Klavierintro sonnendurchflutete Familienaufnahmen aus dem Garten und dem Urlaub, ungewöhnlich private Bilder. Die Hauptperson in dem Video ist die gleiche wie im Text: Sades Kind, geboren als Tochter Mickailia, inzwischen zum Mann Izaak herangewachsen.
„Junger Mann, es war so schwer für Dich, Du musst Dich so allein gefühlt haben“, singt Sade, und: „Vergib mir, mein Sohn, ich hätte es wissen sollen.“ Der Song ist eine anrührende, öffentliche Entschuldigung an ihren Trans-Sohn, der 2016 sein Geschlecht hatte angleichen lassen. Hätte sie ihn auf seinem Weg nicht viel besser unterstützen können? Der Text basiert auf einem Brief, den die Mutter ihrem Sohn zu dessen 21. Geburtstag geschrieben hatte.
Den Song schrieb Sade eigens für das Benefiz-Album „Transa“ der Red Hot Organization, die seit 1990 Gesundheitsprojekte mit den Mitteln der Popmusik unterstützt. Die Produzentin Massima Bell hatte Sade einen persönlichen Brief geschrieben, nachdem sie gehört hatte, dass sie einen Transgender-Sohn hat.
46 Songs haben die Produzent*innen zusammengetragen und in acht Kapiteln arrangiert. Die auf „Transa“ vertretenen Künstler*innen sind teils selbst trans, teils nicht-binär, teils cis, die Auswahl ist bewusst breit angelegt.
Die Idee, Trans-Menschen ein Album zu widmen, kam Massima Bell, nachdem die Musikerin Sophie bei einem Unfall gestorben war – eine Größe im Musikbusiness, ebenfalls eine Trans-Frau, die zum Beispiel mit Charlie XCX, St. Vincent und Kim Petras zusammengearbeitet hatte. Eine Hommage sollte das Album sein, eine Zelebration der Trans-Community und ihres Beitrags zur Popkultur. Doch dann begann in den USA ein immer stärkerer Backlash gegen Trans-Rechte. Als das Album erscheint, befindet sich das Land mitten im Präsidentschaftswahlkampf. „Wir hatten das so nicht vorhergesehen, aber jetzt fühlt es sich an, als hätte es zu keinem besseren Zeitpunkt erscheinen können,“ sagt Massima Bell.
Dem Rolling Stone erklärt Sades in den USA lebende Sohn Izaak Adu einmal, eine Entschuldigung seiner Mutter wäre überhaupt nicht nötig gewesen. In den sozialen Medien drückt er immer wieder Bewunderung und Dankbarkeit für seine Mutter aus. Und trotzdem ist auch ihm „Young Lion“ eine Herzensangelegenheit. „Ein Song, in dem sich ein Elternteil dafür entschuldigt, sein Kind missverstanden zu haben, kann eine immense Bedeutung für die Trans-Community haben“, sagt er. „Ich hoffe, er bringt Trost und Wertschätzung hervor – und das Gefühl, gesehen und verstanden zu werden.“
Martin Kaluza, Oktober 2025