Johnny Cash: „Custer“ (1964)
„It’s not called an Indian victory
Johnny Cash: „Custer“
But a bloody massacre
And the General, he don’t ride well anymore
There might have been more enthusing
If us Indians had been loosing
But the General, he don’t ride well anymore

Ein „Massaker an unseren Truppen“ vermeldet die New York Times am 6. Juli 1876: „General Custer und siebzehn Offiziere in Schlacht am Little Horn hingemetzelt – Angriff auf überwältigend großes Camp von Wilden – 315 Tote und 31 Verwundete.“
Wenige Tage zuvor hatte General George Armstrong Custer die 7. Kavallerie im Kampf gegen die Sioux in den Untergang geführt. Die Zahl der Gegner, angeführt von den Häuptlingen Sitting Bull und Spotted Elk, Two Moons, Gall und Crazy Horse, hatte Custer trotz Vorwarnungen komplett unterschätzt.
Die militärisch wenig bedeutende Schlacht, unter Lakota und Cheyenne als Schlacht von Greasy Grass bekannt, wird schnell zum US-amerikanischen Mythos. General Custer gilt als Held.
Johnny Cash sieht das anders. Knapp neunzig Jahre nach der Schlacht verspottet er Custer in einer flotten Countrynummer, leichtfüßig und mit scharfer Ironie: „To some he was a hero / But to me his score was zero“: „Für einige war er ein Held, von mir bekommt er null Punkte“. Custer habe Frauen, Hunde und Kinder getötet, während die Männer auf der Jagd waren – das waren seine „Siege“.
Custers fatalen strategischen Fehler, das Regiment aufzuteilen, um von drei Seiten aus angreifen zu können, kommentiert Cash: „Custer split his men / Well he won’t do that again“. Vers um Vers demontiert er den General, jeder Zweizeiler endet lapidar: „The General, he don’t ride well anymore“ – „Der General sitzt nicht mehr gut im Sattel“.
Johnny Cash ist ist mit seinem Hit „Ring of Fire“ frisch zum Star aufgestiegen. Im Greenwich Village in New York lernt er die elektrisierende Folk-Szene kennen, freundet sich mit Bob Dylan an. Die Stimmung ist politisch. Man schreibt „Topical Songs“, Lieder, die bestimmte Ereignisse und Persönlichkeiten zum Gegenstand haben.
Joan Baez, Bob Dylan und Harry Belafonte engagieren sich für die Bürgerrechtsbewegung, stehen beim Marsch auf Washington neben Martin Luther King auf der Bühne. Cash beschließt, ebenfalls einer unterdrückten Gruppe eine Stimme zu geben. Den amerikanischen Ureinwohnern fühlt er sich besonders nah, schließlich fließt in seinen Adern – so glaubt er damals noch – auch das Blut der Cherokee. Cash ist in ärmsten Verhältnissen aufgewachsen. Dabei hat er erlebt, dass die indianischen Nachbarn noch schlechter behandelt wurden als seine eigene Familie.
Cash lernt den Sänger Peter La Farge kennen und ist gleich von einem seiner Protestsongs begeistert: „Tha Ballad of Ira Hayes“ erzählt die tragische Geschichte eines indianischen Weltkriegshelden. Das Thema liegt in der Familie: Der Songwriter ist Sohn des Anthropologen und Harvard-Absolventen Oliver La Farge, der 1930 mit „Indianische Liebesgeschichte“ den Pulitzer-Preis gewonnen hatte, einem Roman, in dem indigene US-Bewohner respektvoll und menschlich dargestellt werden.
Cash beschließt, ein Konzeptalbum aufzunehmen, das je zur Hälfte aus eigenen Songs und denen von La Farge besteht: Auf „Bitter Tears: Ballads of the American Indian“ singt Cash zum hittauglichen Country-Sound, der ihn berühmt gemacht hat, über das Massaker von Wounded Knee, er beklagt Zwangsadoptionen und den vertragswidrigen Bau eines Staudamms auf dem Land der Seneca.

Das von La Farge geschriebene „Custer“ ordnet die Schlacht von Little Bighorn neu ein: Nicht ein Massaker an Custers Truppe war sie, sondern ein Sieg der Indianer. Cash stellt sich selbst auf ihre Seite, spricht als einer von ihnen: „There might have been more enthusing / If us Indians had been loosing“.
Einige Country-Sender weigern sich, Songs vom Album „Bitter Tears“ zu spielen. Das Billboard Magazine veröffentlicht nur eine kleine Notiz und keine ausführliche Plattenkritik, die bei einem solchen Star selbstverständlich wäre. In einem offenen Brief, den er als Anzeige veröffentlicht, antwortet Cash dem Magazin und Radio-DJs: „Habt Ihr denn gar keine Courage?“
Mit dem Album „Bitter Tears“ ist Johnny Cash ein Vorreiter, der den Indigenen in der breiten Öffentlichkeit Gehör verschafft. Fünf Jahre später erscheinen zwei einflussreiche Bücher, Dee Browns „Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses“, eine Geschichte der Indianerkriege auf dem Gebiet der USA, und „Custer starb für eure Sünden“, der Essay-Band des indianischen Politikwissenschaftlers und Aktivisten Vine Deloria junior.
Johnny Cashs Engagement hallt bis heute in der indigenen Community nach. Am 25. Juni 1966, zwei Jahre nach Veröffentlichung des Albums, wird Johnny Cash in einer öffentlichen Zeremonie vor 1.500 Menschen vom Seneca-Turtle-Stamm adoptiert. Er bekommt den Stammesnamen „Hago’ata“ verliehen: Geschichtenerzähler.
Martin Kaluza, Januar 2025
Die Country Szene war damals auch in Deutschland eine widersprüchliche. Es gab da jede Menge Leute, die ein durch Hollywood Filme geprägtes USA-Bild hatten. Die gute Weißen und die bösen Rothäute. Ein gewisser John Wayne hatte auch was gegen die Rothäute, womit er sowohl die Indianer wie die Linken meinte. Dieses Schema wurde von Teilen der deutschen Country Szene damals gern übernommen.
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