Lynchmorde in der Südstaatenidylle

Billy Holiday: Strange Fruit (1939)

„Southern trees bear a strange fruit
Blood on the leaves and blood on the root
Black body swinging in the southern breeze
Strange fruit hanging from the poplar trees

Abel Meeropol: Strange Fruit
Externer Link: Wenn Sie auf das Bild klicken, öffnet sich in einem neuen Tab ein youtube-Link mit dem Song

Wenn im „Café Society“, dem ersten Jazzclub, in denen schwarze und weiße Gäste Zutritt haben, das Ende des Auftritts von Billy Holiday naht, hören die Kellner auf, die Tische zu bedienen. Das Licht wird ausgeschaltet, bis auf einen einzelnen Spot auf die Sängerin. Der Song, den sie dann singt, beschört eine ländliche Südstaatenidylle, in der die grausamsten Verbrechen stattfinden: „Southern trees bear a strange fruit / Blood on the leaves and blood at the root / Black bodies swinging in the southern breeze / Strange fruit hanging from the poplar trees.“ Sie braucht das Wort „Lynchmorde“ nicht einmal zu erwähnen. Holiday besingt im Jahr 1939 ein Tabuthema: Fast 4.000 wurden in den USA seit Ende des 19. Jahrhunderts gelyncht. 90 Prozent dieser Morde fanden in den Südstaaten statt, vier Fünftel der Opfer waren Afroamerikaner.

Geschrieben hat den Song ein Weißer, der jüdische Lehrer Abel Meeropol, auch bekannt unter dem Pseudonym Lewis Allan und Mitglied der kommunistischen Partei. 1936 stieß er auf ein Foto, dass die Lynchmorde an den schwarzen Teenagern Thomas Shipp und Abram Smith zeigte. Verstört von dem Foto schrieb er das Gedicht „Bitter Fruit“ und veröffentlichte es im Magazin der New Yorker Lehrergewerkschaft. Später komponierte er auch die Melodie und den bot den Song über den Nachtclubbesitzer Billy Holiday an. Die Sängerin hätte ihn gern bei Columbia Records aufgenommen, doch die Firma lehnt den Song ab – zu heikel. 1939 nimmt sie ihn schließlich beim Label Commodore auf, zusammen mit drei weiteren Songs, und der Produzent sagt später über die Aufnahmen, er glaube, das sei die erste wirklich moderne Blues-Session gewesen. Die Band, mit der sie den Song einspielt, ist ihre Band aus dem „Café Society“. Von dessen Bühne aus erobert der düstere Song die Welt.

Abel Meeropol steht in der McCarthy-Ära noch einmal in der Öffentlichkeit: Mit seiner Frau Anne adoptiert er 1953 die Kinder des als angebliche Sowjet-Spione hingerichteten Ehepaars Ethel und Julius Rosenberg.

Martin Kaluza, August 2022

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